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Die Moderne Kunst als Höhle der Erinnerungen | Kuhlmanns Kante |
Das Malerspiel | Schönheit, die passiert |
Die Enzyklopädie des Bildes | Die Bilder und das Möbelhaus | Kunst versus Sports |
Die Moderne der Kunst als Höhle der Erinnerungen
Elmar Zorn
Geschichten erzählen gehört zu den Urfaszinationen menschlicher Kommunikation. Immer wenn der Erzähler anhub, der um das Feuer versammelten lauschenden Gruppe vom „Und dann“ zu erzählen, waren gleich alle verbunden in einem magischen Bann, in eine Überhöhung stiftenden Reproduktion des Alltags der Gemeinschaft.
Bruno Kuhlmann greift in seinen Projektskizzen einer digitalen Ausstellung diese Urform menschlicher Erfindung auf und lässt höchst beziehungsreich und programmatisch den Leser bzw. Betrachter der Aufzeichnungen am Werdeprozess des Projektes teilhaben. Ein fotografisches Gruppenbild mit Dame, es könnte eine vor ca. hundert Jahren fabrizierte Ablichtung sein, wie die Kleidung der Personen nahelegt, illustriert das vorgebrachte Thema des Projekts, das als ein Spiel daherkommt.
Wenn Kirchner, Picasso, Kandinsky, Klimt und Malewitsch sich im Himmel treffen würden, um darüber nachzudenken, was sie mit ihren Werken ausgelöst haben, so sähen wir sie ausweglos miteinander und ineinander verstrickt. Der Künstler lässt in seiner Ankündigung einen Theaterregisseur mit einem Fernsehmoderator die wichtigsten Bewegungen der modernen Kunst inspizieren, erklärt sich aber hauptsächlich interessiert an den Umständen, die zu dem geführt haben, was heute Moderne Kunst darstellt.
Kuhlmann setzt dieser Absichtserklärung das Foto einer wilden Hängung verschiedener Fotos, Papierarbeiten und kleinformatigen Malereien in einer Videoprojektion vor. Er erläutert seine Raumaufteilung als ein paradoxerweise sowohl autonom einsames wie kommunikatives Szenario. Angekündigt wird das Nachstellen von Kunstrichtungen, ihren Widersprüchen und Kongruenzen der Moden mit heutigen Mitteln. Ziel der Unternehmung ist, was viele Künstler und Kunstinteressierte immer wieder mutmaßen, wenn sie Ausstellungen oder Texte etwa der von Kuhlmann bei der Himmelskonferenz Genannten um Kandinsky und Malewitsch herum treffen. Der Tenor ist: Die waren doch seinerzeit schon weiter!!!
Die Beispiele für diese Inspektion bzw. Wiederaufbereitung historischer Kunstrichtungen und Stile der Moderne inszeniert der Künstler, wie den Fotografien im Durchblick der Räume der Ausstellungsinstallation zu entnehmen ist, als ein völliges Durcheinander der Bildzitate aus Gemälden, Aussprüchen und Schriften, wobei die vermeintlichen Zitate nichts anderes sind als Anmutungen und Aufrufe unseres Bildgedächtnisses. Sie „stimmen“ alle und zugleich stimmen sie nicht. Keines der vom Künstler vorgeführten Werke gibt es wirklich, keines stellt sich als eindeutig zuordenbar und erkennbar dar.
Keinesfalls geht Kuhlmann satirisch oder gar karikaturistisch mit den Motiven, Stilen und Erinnerungen an die Bilder um. Man könnte sie auch als Improvisationen über unser aller Bildgedächtnis der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstehen: kubistisch, konstruktivistisch, expressionistisch, konkret, Methoden verwendend wie das Action painting, drip-painting, Montage- und Frottage-Techniken, Monotypien, Fotomischtechniken etc.
Die Titelfrage „Haben wir das wirklich gewollt?“, die ja eher bei einer Gewissenserforschung von politischen Handlungsträgern anzusiedeln wäre, als in einer Musterung aktueller Kunstgeschichts-Rezeptionen, legt in der Art der Aufbereitung der Argumente und Lenkung des Betrachterblicks vor allem zwei Antworten nahe: Zum einen die Antwort „Nein, wir wollten etwas anderes. Es war ein Irrtum“ und zum anderen „Ja, weil der Versuch etwas anderes oder neues zu schaffen, es entgegenzuhalten oder zu verknüpfen mit anderen Versuchen zählt“. Es ist also nicht das perfekt fertiggestellte Werk, sondern der Prozess, der Irrtum, das Scheitern, welche die eingesetzte kreative Denkarbeit und den schöpferischen Gestaltungswillen reflektieren bei einer solchen Antwort.
Cui bono? Was soll die Übung? könnte man sich bzw. unseren Künstler fragen. Ist sich nicht jeder halbwegs kritische, geschichtskundige Künstler der Errungenschaften und der Brücke bewusst, die sich in den letzten hundert Jahren in der Kunst manifestiert haben? Auch wenn dies so wäre, die Reaktion und Aktion von Bruno Kuhlmann stellt sich als eine andere dar als die seiner Kollegen. Es ist keine kritische Adaption, keine Interpretation, keine Aneignung, keine Hommage. Kuhlmann zelebriert ein intelligentes Spiel mit Sprache und Syntax der modernen Kunstrichtungen. Der Spielraum dafür ist eine Höhle der Erinnerungen. Ob sie somit festgehalten oder befreit werden, alle diese Inkunabeln der Moderne, mag jeder Leser und Betrachter für sich selbst entscheiden. In jedem Fall möchte ich meinen: Diese Übung ist gelungen.
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Kuhlmanns Kante
Heinz Schütz
Bis heute kursiert die modernistische Vorstellung von der Originalität der Kunst: Ein singuläres Künstlergenie produziert ein singuläres, möglichst innovatives Kunstwerk, das insbesondere durch die Tatsache, dass der Künstler eigenhändig tätig war und dem Werk seine Handschrift aufdrückte zum Original wird. Dieser leibhaftig vollzogene Originalitätspakt wird durch die Signatur besiegelt. Der Originalstatus des Werkes hängt keineswegs ausschließlich, aber doch ganz entscheidend von dieser leibhaftigen Berührung ab. So betrachtet funktioniert das modernistische Originalwerk wie eine Reliquie des heiligen Genies, wobei sich der Künstler über die reine Berührung hinaus, in seinem Werk expressiv veräußert und mit dem Dargestellten immer auch einen Abdruck seiner Persönlichkeit liefert.
Der modernistische Originalitätspakt funktioniert nur dann, wenn bei der Kunstproduktion zwischen Künstlerleib und Werk das Verhältnis möglichst großer Unmittelbarkeit gewahrt bleibt. Werkzeuge wie Pinsel und Zeichenstift, Hammer und Meissel lassen sich gewissermaßen als eine Verlängerung des Leibes betrachten. Wie die noch im 20. Jahrhundert andauernde Debatte über den Kunstcharakter der Fotografie belegt, wurde der Fotografie nicht zuletzt aufgrund der apparativen Distanz der Bildproduktion nicht die Hand des Künstlers, sondern der Apparat produziert das Bild der Kunstcharakter abgesprochen.
Blickt man von heute, dem digitalen Zeitalter, aus zurück, erscheint derlei Insistieren auf Unmittelbarkeit und analoger Leiblichkeit wie die Teilmenge eines digital erweiterten Produktionsbegriffes der das modernistische Verhältnis von Werkzeug und Leib, von Subjekt und Werk, von Mimesis und konkreter Realität, von Innovation und Geschichte als historische Insel in neuem Licht erscheinen lässt. Ansätze zu einem radikalen Umdenken des modernistischen Originalitätsbegriffes und der damit verbundenen Inthronisation des Künstlersubjektes zeigen sich bereits in den avantgardistischen Strömungen zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Für den Konstruktivismus ist nicht mehr das geniale Künstlersubjekt, sondern der sachliche Ingenieur Vorbild, bei Marcel Duchamp tritt an die Stelle des eigenhändig Produzierenden das vorgefundene Ready Made. Durchaus symptomatisch für eine Kunst jenseits des modernistischen Subjektbezuges verschwindet später im Minimalismus und Konzeptualismus die Signatur ganz aus dem Werk. Am Ende des 20. Jahrhunderts ist es zu einer Selbstverständlichkeit geworden, dass Künstler, ähnlich wie Architekten oder Designer, die Realisierung ihrer Arbeit Experten anvertrauen. Der modernistische Originalitätspakt wurde gekündigt. Der instrumentelle Einsatz von Kameras und Computern ist nun ein Teil der postmodernistischen Kunstpraxis. Das Pathos des Unmittelbaren und Innovativen wurde überlagert durch Strategien der Aneignung und Wiederholung. Als ein relativ frühes Beispiel sei auf eine Arbeit von Claes Oldenburg verwiesen. Auf die Unmittelbarkeitsansprüche des Tachismus antwortet er mit der medial vermitttelten Konstruktion einer Pinselgeste. Solcherart Insistenz auf Vermittlung wurde im digitalen Zeitalter noch radikalisiert.
Vor der Folie der Kunstentwikklung, die den Übergang vom Modernismus zum digital forcierten Postmodernismus vollzogen hat, ist die Arbeit Bruno Kuhlmanns zu betrachten. Dabei kommt man ihr am nächsten, wenn man sie primär als Malerei wahrnimmt, denn über alle Vermittellungen hinweg, dominiert hier doch der Malereidiskurs. Er lässt sich, historisch betrachtet, mit konkretistischen Ansätzen in Verbindung bringen. Wie der klassische Konkretist betrachtet auch Kuhlmann zuerst einmal Farbe als Farbe und Form als Form. Während allerdings klassische Konkretisten in antimimetischer und antillusionistischer Absicht die Elemente der Malerei in reiner Selbstrepräsentation vergegenwärtigen, überschreitet Kuhlmann das Abbildungsverbot und bezieht Fotos, Videos und Computersimulationen in seine Arbeit mit ein. Wie der vorliegende Katalog eindringlich belegt, entdeckt Kuhlmann konkrete Malereielemente in der abfotografierten Realität. Das Fotografierte wird, computertechnisch transformiert, zum Teil seiner Malerei. Seine gemalten Bilder wiederum werden zum Teil des fotografierten Ambientes.
Bereits im klassischen Konkretismus deutet sich, entgegen aller Beteuerungen, das Konkrete sei einfach das auf sich verweisende, real Gegebene, ein idealistisches Dilemma an. Im Insistieren auf reinen Formen (Dreieck, Quadrat, Kreis) und Farben (Rot, Blau, Gelb) erweist sich der klassische Konkretist als Platoniker, der die Idee über das einfach so Da-Seiende stellt. Kuhlmann nun entwickel eine Art von relativem Konkretismus, der keine einfache Antwort mehr auf die Frage, was denn hier nun konkret ist, zulässt. Das Konkrete verliert in seiner Malerei gleichsam seine Unschuld, einfach nur so Da-Zu- Sein.
Die Farbhintergründe seiner Bilder sind gewöhnlich Nachahmungen computermanipulierter und - generierter Fotografien. Kuhlmann realisiert sie mit Hilfe der Spritzpistole, ein in traditioneller Malerei verpöntes Instrument, das sich aber vorzüglich eignet, durch sanfte Übergänge und Unschärfen der Anwesenheit der Farbe einen illusionistischen Kick zu verleihen und damit das Faktum gemalter Virtualität zu betonen. Die Farbgründe erscheinen wie Momentaufnahmen aus dem unendlichen Bildgenerierungsprogramm des Computers. Und in der Tat, in einer seiner Videoarbeiten greift Kuhlmann auf, was in seinen Bildern wie ein einziger Moment eines virtuellen Prozesses erscheint. Kuhlmann simuliert die Hängung seiner Zeichnung, wobei die computergenerierte Farbwand, in einem ständigen Prozess der Verwandlung begriffen ist.
Kuhlmanns eigentlicher konkreter Relativismus aber zeigt sich im Aufprall verschiedener Farb- und Formwelten. Dem gleitenden Farbhintergrund und angedeuteten Farbraum, der in seiner dekorativen Schönheit nur Oberfläche und nichts als Oberfläche ist, setzt er Malereifragmente entgegen, die seltsam unwirklich und wie uneigentliche Zitate von Malereigesten erscheinen. Das Realste im Aufprall der beiden Welten - insofern sich "real" überhaupt steigern lässt - ist die harte Kante, mit der sich die fragmentierten Gesten von ihrer Umgebung abgrenzen. An der harten Kante bricht sich die latente Virtualität der herbeizitierten Farb- und Formwelten.
Mit seinem jüngsten Video begibt sich Kuhlmann nach Indien, ein Land, das längst vor der Postmodernismus heraufdämmerte ein erstaunliches Nebeneinander des Divergenten und Heterogenen entwickelte. Kuhlmanns Rhythmisierungen und Farbmanipulationen verwandeln das gefilmte Indien in eine Bildkaskade, in der sich alles Feste verflüssigt und zur Farbe drängt.
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Das Malerspiel
Petra Scherzer
Konkrete Ikonen Möglichkeiten und Variationen des Glasperlenspiels in einem non/virtuellen System
Überlegungen zu Arbeiten von Bruno Kuhlmann
»Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.« (Schiller)
Spielen, Tun, das aus der Freude am Tun selbst geschieht und nicht von praktischen Intentionen geleitet wird: Im Zweckfreien also eine Kunst das Können auf höchstem Niveau entwickeln, welches als absolut dasteht und noch mehr Perfektion erfordert, Komplikationen, Ebenen, Levels einbaut. Und nichts abbildet, aus-sich selbst ist. Das "Glasperlenspiel" als höchste Form dieser Kunst, als Ausbund an bildungsbürgerlicher Dekadenz, oder als Inbegriff des Konkreten ? Oder gar als Topos der Wahrheitsfindung und Erkenntnis, ein Elfenbeinturm, ein Reservat für die zu schützende Art komplex denkender (Künstler-) Menschen, das schön ordentlich abgegrenzt ist, damit diese Allesverknüpfer nicht dem Rest der Menschheit allzu gefährlich werden könnten ...
Wie frivol muss es denn sein, "das wahre Bild" zu suchen, dass dies fast nicht angesprochen wird, sondern mit allerlei Gebaren drumrum ein Wind gemacht wird, der dieses schlichte wie spannende Ansinnen verschleiert. Ist Bemühen um reine Visualität bereits konkrete Kunst? Oder ist sie es gerade noch?
Laut philosophischem Lexikon bedeutet "konkret" das Gegenteil von "abstrakt". "konkret", (lateinisch: "zusammengewachsen"), wird hier beschrieben als das natürliche und greifbare Wirkliche, das sich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort befindet. Auf Letzteres im Wortsinn wird vor allem in den modernen Theorien der Soziologie und Politologie das Augenmerk gerichtet.
In der Kunst sehen wir nicht Gegenstände, bzw. Räume, die durch ein Destillat aus komplizierteren, detailreicheren Anordnungen entstanden sind, sondern so man es will: Formen, die "an sich" existieren. Es liegt ein Absolutheitsanspruch im Konkreten. Als da man das Leben selbst als die konkreteste Angelegenheit überhaupt betrachten möchte. Es ist. Es ist sich selbst. Die Entelechie des Dinges, welches wir als konkret bezeichnen, liegt in dem, eben diesem Ding selbst. Und dennoch, gleich dem japanischen Zen-Mönch, welcher ja "wissen" muss nach einigen Jahren, dass z.B. MU "Nichts" ist, und die Vielheit der erscheinenden Dinge aus dem Nichts entsteht, ihm innewohnt, dahin zurückehrt, muss man die Konkretheit des Nichts erst durch jahrelange Meditation, das Lösen des Koans erfahren.
Das Konkrete scheint direkte Erfahrung zu fordern! Das Wissen, allein ein kognitives Wissen vom Konkreten reicht also nicht aus. Sonst wäre nach Malewitsch`schwarzem Quadrat das Kapitel "konkrete" Kunst zu Ende und Bruno Kuhlmanns selbst gewählte Aufgabe KONKRETE IKONEN her-zustellen so belächelt wie der Versuch heutzutage noch immer an die Realisierung das Perpetuum mobile zu glauben oder an Goldbroiler ohne Vorkochen ...
Kuhlmann stellt sich aber diesem mindgap, dem Bruch, in dem der aktuelle Mensch steht. Er weiß so viel. Er ist der durch Geisteswissenschaften geprägten Sprache mächtig, bedient sich ihrer, er ist verspielt eklektizistisch logischerweise sein Umgang mit Information und er vermittelt diese merkwürdige Distanz zu den wahrnehmbaren Dingen, die sich einstellt, wenn sie nicht erfahren sind. Sondern nur gewusst. In seiner Kunst konzentriert sich das Spannungsfeld zwischen der Suche nach dem "wahren, wirklich gutem" Bild (was ja DER klassische fromme Wunsch an sich ist: "Das Schöne, Wahre, Gute") Die Vorlagen seiner Bildkompositionen: Hochaufgelöste, Pixel für Pixel per Inkjet ausgegebene Drucke. Die Farben setzen sich hier additiv zusammen, wie bei der späteren vergrößerten Analog-Ausgabe auf Leinwand. Diesen Vorent-wurf entlässt er aus seiner geistigen Werkstatt, nach Manier alter Meister in die Hand des Gesellen (hier allerdings in Personalunion), der mit Maske und Spritzpistole das im Labor Gezeugte maßstabsgetreu vergrößert, es wiederholt physisch, materiell. Und spielt die Rolle dessen, der das Abbild seiner Vorlage herstellt.
Die orthodoxen Mönche fabrizieren nicht unähnlich ihre Ikonen: Mit geweihtem Malmaterial kopieren sie die Vorlage, um deren Information optimal zu übertragen, inklusive des Geistes des abzubildenden Heiligen. Da Geist hier als fassbares, an einen Ort platzierbares, und somit als ein konkretes Ding gilt, enthält also diese Ikone ein Granum Konkretion, das in homöopathischer Verdünnung an die folgenden Bildgenerationen übertragen wird. Dem Abbild wohnt paradoxer Weise etwas Konkretes inne, ohne das es nicht wäre. Dem Konkreten, in Kuhlmanns Arbeiten, wohnt das Abbild der digitalen Vorlage inne. Diesen Widerspruch integriert der Maler, in dem er das Malerspiel auf seine Weise spielt.
Dass kein Kunstwerk ausgerechnet deshalb "besser" wird, weil es das ist, was man gerne "authentisch" nennt, hat nicht nur Kuhlmann in seiner Entwicklung exerziert. Die Malerei gewann in dem Maße an Freiheit, als sie an formaler Strenge und Entfernung vom Autobiografischen zugenommen hat. Eine Metamorphose hin zum Bild-Spiel, das ja alle Ebenen zulässt (und somit das "Wilde" nicht außen vor lässt, sondern transzendiert).
Der Künstler, als ein ernst zu nehmender Erforscher des Visuellen und seiner Rezeption, der Wahrnehmung, deren Resonanz und Wiedergabe, in toto: der Kommunikation, muss sich im Paradoxien bewegen. Er hat die gedanklichen Folien von Bild-Suche, Bildung und ganz tief zugrundeliegenden inhaltlichen Ansprüchen ineinander zu montieren, sie zu integrieren. Und dabei trifft er dann zuletzt Entscheidungen, plant welche Spielzüge es denn letztlich sein werden, die dem zukünftigen Bilde seine Gestalt verleihen.
Diese Selektion an Gekanntem und Verworfenem, Verwendetem, Gebeugtem fließt dann in das Spiel, gibt ihm Gestalt. Denn ein jedes Spiel hat seinen speziellen Charakter: "... einer hat das Latein des Julius Caesar auf seine rhythmischen Eigenschaften hin untersucht und hat darin die auffallendsten Übereinstimmungen gefunden mit dem Ergebnis wohlbekannter Intervalluntersuchungen im byzantinischen Kirchengesang. ... Knecht ging mit Eifer auf die heutige Vorlage ein; jeder aktive Glasperlenspieler träumt ja von einer beständigen Erweiterung der Spielgebiete. ... Die eigentliche, letzte Finesse des privaten Spielens hochentwickelter Spieler besteht ja eben darin, dass sie der ausdrückenden, namengebenden und formbildenden Kräfte der Spielgesetze so sehr Herr sind, um in ein beliebiges Spiel mit objektiven und historischen Werten auch ganz individuelle... Vorstellungen mit aufzunehmen." (1)
Wie Josef Knecht tüftelt der Künstler, der mit Entwürfen arbeitet, Spielzüge aus. Virtuelle Bilder, die nach einer dem Künstler innewohnenden (und selbstverständlich durch Gesehenes beeinflussten) Qualitätsauswahl, nach angelernten und innewohnenden Rastern ausgesucht werden, werden auf die präparierte Leinwand übertragen. Mit dem Airbrush-Verfahren, diesem Allerwelts-Lackiergerät werden entrückte, sich selbstreferierende Räume geschaffen. Leidenschaft? Wo? Und doch flammt in aller Verhaltenheit eine Option auf etwas Kühnes, vielleicht sogar Verwegenes in den Bild-Objekten auf. Sei es durch die Oberflächen-behandlung, die Diskrepanz zwischen Form im Vordergrund und Hintergrund. Das absolute Auftreten der erfundenen Form, die einsam meist im Bildmittelpunkt prangt oder schwebt oder: dräut. Wie im Spiel bedacht und Variationen suchend, geht der Künstler vor. Ein geistiges Schachspiel mit sich selbst? Einer Utopie von reinem Form-Raum nachstrebend, Erkenntnis beim Tun suchend? Oder Befreiung von all den alten Geschichten, die nur durch ihre genaue Kenntnis erreicht werden kann?
Orte sind Bruno Kuhlmanns Bilder, in denen eine eigene Gesetzmäßigkeit herrscht, entrückt und in einer beinahe numinosen Weise autoritär. Das Kastalien Hermann Hesses. "Ich begriff plötzlich, dass in der Sprache oder doch mindestens im Geist des Glasperlenspiels tatsächlich alles allbedeutend sei, dass jedes Symbol und jede Kombination von Symbolen nicht hierhin oder dorthin, nicht zu einzelnen Beispielen, Experimenten und Beweisen führe, sondern ins Zentrum, ins Geheimnis und Innerste der Welt, in das Urwissen." (2)
In Folge spricht Hesses Protagonist Josef Knecht von nichts Anderem als der Schau und der Integration von Gegensätzen. Das Glasperlenspiel wird nur vage beschrieben, vielmehr sein Wesen, seine Aufgabe, die Bedeutung, die es für die Spieler einnimmt, die Kunst darin. Um Musik und Harmonielehre geht es, um Gesetzmäßigkeiten, Strukturen und das scheint hier der springende Punkt wie der Meister des Spiels eben scheinbar Festgelegtes in spielerisch neue Kombination setzt, es neu erfindet.
Ein permanenter Prozess des Umschichtens und Erfahrens alten Wissens vollzieht sich und lässt so das eigentliche Kunstwerk - das Glasperlenspiel entstehen. In diesen quasi-evolutionären Vorgang steigt auch Bruno Kuhlmann ein. Dieser erscheint nicht direkt, was sich zeigt, und sich Präsenz verschafft, ist die Form. Aber diese steht da wie die Meniñas. Da ist der Künstler im Hintergrund als Beobachter und Picasso beobachtet diesen und übersetzt in moderne Sprache dessen altes Idiom: Kuhlmanns Form also präsent, Künstler abwesend? Nein, spielend sich selbst und den Anspruch ein "Wahres, gutes" Bild zu schaffen, ist er da, quasi als Hintergrund, auf dem sich die Ebenen aufbauen (gedacht im Konzept von Grafikprogrammen, mit denen die Bildentwicklung des Künstlers ja startet). Das sprengt die eindimensionale Vorlage "Konkret". Das Spiel als lingua sacra, lingua franca. Eine nicht anzugreifende Sprache. In dem Moment, da es fertig, just vollendet, ist es konkret und so wie das Leben. Auch das ist "einfach da".
Dieser durch alle Prozesse hindurch gewordenen Konkretion verleiht Kuhlmann den Zusatz IKONE, Bild-Abbild, was alles "Bild" impliziert. Und referiert selbst den Bruch, in dem der Künstler nach Malewitsch steht: Er tut es eben doch: Er steht eben im Hintergrund da und guckt den Meniñas (um im Bilde zu bleiben) zu. Lediglich auf anderer Ebene. Wie war das mit Caesar und der byzantinischen Musik?
Im Falle Kuhlmann: Seine Konkretionen wechseln nach dem Moment der Vollendung die Ebene. In die der Vielheit, der Ansammlung, und möchten sich da behaupten. Sie halten den Schild des Konkreten hoch und verhalten sich wie Abbilder; schon alleine, da sie sich selbst beschreiben, da sie die Perspektive auf das eventuelle Vorhandensein einer Metaebene aufreißen, machen sie sich, zumindest scheinbar, ableitbar. Und sprechen so die Versuchung aus, einer Abstraktion von irgendwas nachzuspüren, sie gar zu entdecken.
Diese Bilder sind Fallen, wenn man hineinläuft und sucht.
Sie sind Ikonen des Konkreten, wenn man sie annimmt.
Der Grat, auf dem der Künstler wandelt, ist schmal und diese Übung beinhaltet die Aufgabe, unter anderem, den Zeitgeist zu spiegeln, zu analysieren, ihn abzubilden und in dessen Visualität einzugreifen, und zu seiner Formung beizutragen. Fürbaß, ein wenig Zukunft zu projizieren (wenn wir in diesem Zusammenhang von Hesse reden, ist eine etwas romantisch gefärbte Sicht darauf gar nicht so schnell überstrapaziert).
Dazu der Plot des "Glasperlenspiel" : Thomas von der Trave (unverkennbar Hesses Freund und Kollege Thomas Mann, der zeitgleich an Dr. Faustus arbeitete) wird abgelöst von Josef Knecht, der in die Mystik des Glasperlenspiels eindringt, im Gegensatz zu seinem Vorgänger die geistige Komponente des Spiels stärker reflektiert als Kunst und Geschick darin, und schließlich ertrinkt(!) ihm nachfolgen wird der junge Tito, ein Sohn von Knechts weltlichem Weggefährten aus Jugendzeiten. (3) Der Roman wird als Rekonstruktion vergangener Ereignisse in die Zukunft gelegt, die es dem Autor ermöglicht, auf seine aktuelle Gegenwart mit distanziertem historischem Blick zu schauen. So erhält (zusätzlich werden die Adepten des Glasperlenspiels angehalten, fiktive Autobiografien in zurückliegenden Epochen zu verfassen; Knechts drei Lebensläufe im Anhang des Buches) der Roman selbst schon Züge des Glasperlenspiels...
Was Entstehung, Figuren, Positionierung des Autors, Zeitlichkeit vom damaligen kulturellen Klima sprechen lassen, ist anwendbar auf zyklische Verläufe, auf notwendige Entwicklungen. Und spiegelt das Verhältnis des Künstlers zu seinem Werk, das sozusagen mikrokosmisch gesehen, diese Verläufe abbildet. Nimmt man die reale historische Ebene aus dem Roman heraus, finden wir Folien vor, Konzepte der Annäherung, Deutung der Bilder.
Es gäbe die Möglichkeit, in Kuhlmanns Ästhetik zu versinken, ja, das ist eine Offerte; aber wie ein Nachgeborener schafft er selber Distanz zu seinen eigenen Behauptungen, zu seinen Bild(t)räumen und stellt eine einsame Form, an der das Gegenüber erst einmal anstoßt, davor. Sie sind leicht, die Bilder, sie treten mit der Sicherheit eines routinierten Spielers auf, der weiß, dass er seine Aufgabe wird lösen können. Und sie sind nicht leicht, für den, der hinter den Vorhang schaut. Kuhlmanns Bilder sie sind schön. So, wie man als ernsthafter Kultur-Mensch sich eher die Zunge abbeißt, als in aller Öffentlichkeit das Wort "schön" zu gebrauchen. Sie sind aber eben ganz genau so, und man könnte sie für sehr bequem halten, hätte nicht ein jedes Bild dieses Selbstgespräch, diesen inneren Dialog, der von Entwicklung und ergo von Spannung erzählt. Und seien sie noch so schön, sie sind verführerisch und irritierend. Denn: Spiele sind sie, komplizierte Spiele. Nicht Abbilder von Spielen. Sie inszenieren das Spiel in sich, im Auge des Gegen-/Mit- Spielers, des anderen!
Und, als ob sie wüssten, in welch Untiefen man sich hineinspielen könnte, sagen sie. "Halt!"
Und da ist er wieder, der Widerspruch des Wissenden, des Vernünftigen, der mit dem Wagemutigem, der er ja auch ist, kämpft.
Die Sympathie für den Betrachter, sozusagen die Spiel-Mannschaft, macht gerade das Nichtverschleiern Kuhlmanns aus. Er ist der unstrategischste Maler-Spieler auf weiten Gefilden. Er ist Glasperlenspiel-Stratege. Will heißen, beinahe unschuldig geht er mit neuen, zu entdeckenden Medien, Farben, Werkzeugen um und hält das Staunen über die Fülle an Möglichkeiten im Bilde fest. Manche Arbeiten vermitteln genau diese Freude am "Heureka!", diesen oder jenen Spielzug, diese oder jene Harmoniekette angestoßen zu haben. Andere Arbeiten sind beinahe getragen beinahe so, als atmeten sie schon beim Entstehen den Respekt vor den Räumen, in denen sie hängen werden und während diese Wahrnehmung irgendein Nervengebilde, wo so was hingehört, treffen will, passiert, dass der Zuseher dieser Bildperformance plötzlich lachen muss. Dem Maler-Spieler ist ein unerwarteter Zug gelungen. War erstere Wahrnehmung doch ein wenig schnell und natürlich reichlich oberflächlich, spielt der Malerspieler die Ich-habs-mir-doch-gedacht-Karte. Und niemand weiß, ob das stimmt. Die irrisierenden Farbräume bleiben.
Kein Thema, keine großen Titel, das wirklich Umwälzende vollzieht sich im Geist und die Neuerschaffung auch.
Zitate
aus Hermann Hesse: »Das Glasperlenspiel«, Suhrkamp Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main, Achte Auflage, 1976 (Copyright 1943 by Fretz & Wasmuth, Zürich)
(1) S. 148
(2) S. 124/125
(3) S. 439-470
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Schönheit, die passiert
eine Reflektion über die Bilder Bruno Kuhlmanns
Petra Scherzer
Malerei als selbstreferentielles Spiel? Der Künstler, ein Verführer?
Es gäbe die Möglichkeit, in Kuhlmanns Ästhetik zu versinken, ja, das ist eine Offerte; aber wie ein Nachgeborener schafft er selbst Distanz zu seinen eigenen Behauptungen, zu seinen Bildräumen und stellt eine einsame Form, an der sich ein Gegenüber erst einmal stößt, davor. Sie sind "leicht", die Bilder, sie treten mit der Sicherheit eines routinierten Spielers auf, der weiß, dass er seine Aufgabe mit Erfolg lösen wird. Sie sind nicht leicht, die Bilder, für den, der hinter den Vorhang schaut.
Das macht sie »schwierig«
Haben wir doch "das Schöne" abgestreift und gut sortiert in der Schublade "design" untergebracht. Dekoration als aktuelles Schimpfwort für Malerei. Und da kommt ein Bruno Kuhlmann daher, thematisiert ganz unverhohlen die Ästhetik und erzeugt dabei Gemälde von irritierender Schönheit.
Zu seinem Konzept gehört es, sich als Künstler mit den Kategorien der Malerei auseinanderzusetzen, wobei er beschließt, sie zu reflektieren und zu übergehen, weil er das Neue sucht, wissend, dass er sich in Nuancen bemüht, in unserer Zeit, wo die Alles-Zermalmer, contemporäre Malerfürsten, ihre Spuren hinterlassen.... Heutzutage ist es einfach nicht möglich, etwas herzustellen, das nicht sofort eine inhaltliche Konnotation erhält. In dieser Gegenwart spricht Kuhlmann von der "Verantwortlichkeit gegenüber dem Bild". Daher ist Kuhlmann das "Spiel Malerei" wichtiger als die Einordnung seiner Kunst. So sammelt er nichtfigürliche Versatzstücke, visuelle Eindrücke, die er unscharf macht, reduziert. Durch das Unscharfe wird jeglicher Inhalt weggenommen. Durch die Schärfe einer im Vordergrund stehenden, "selbstexistierenden" Form wird etwas Ungreifbares, ein Vexierspiel der eigenen Erinnerung und Kenntnis, geschafft kein lesbares System, eben wie in Hesses "Glasperlenspiel": Ein aus sich selbst entstehendes Weltmodell, das sich herkömmlicher Systematik entzieht. Bruno Kuhlmann erzeugt einen für sich stehenden Bildkosmos. Die Künstlichkeit der Farben, die Malmethode Übernahme im Computer generierter Formen in Airbrushtechnik unterstützen das Paradox einer aus einst subjektiver Wahrnehmung geborenen Entität, die absolut auftritt. Und die Frage beschäftigt ihn, ab wann ein Bild gegen visuelle Konvention verstößt. Dabei thematisiert und aktualisiert der Künstler seine Mittel. Als Ergründer des Visuellen muss sich ein Kunstschaffender in Paradoxien bewegen. Er hat die gedanklichen Folien der Bild-Suche, Bildung und ganz tief zugrundeliegenden inhaltlichen Ansprüche ineinander zu montieren. Und dabei trifft er Entscheidungen, plant, welche Spielzüge es dann letztlich sein werden, die dem zukünftigen Bilde seine Gestalt verleihen.
Diese Selektion aus Gekanntem, Verworfenem, Verwendetem, Gebeugten fließt in das Spiel, gibt ihm Gestalt.
Währenddessen entsteht ein Werk von nur scheinbar vordergründiger Schönheit. Der oberflächliche Betrachter irrt. Tatsächlich konfrontieren Kuhlmanns Bilder ihn mit deren eigener Definition von »Schönheit«. Schon merkwürdig, wie problematisch etwas, das einst angestrebt, ganze Epochen bestimmte: »Das Schöne, Wahre, Gute«, das in unserer Zeit entweder nur als naiv oder subversiv gelesen werden kann.
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Die Enzyklopädie des Bildes
oder
Die Ästhetik, ihre Grundregeln im alltäglichen Leben
Ein Interview
Bruno Kuhlmann, 1998
Fragen: Welche Stellung wird der Archäologe unserer einstmals vergangenen Kunst zubilligen? Wird er sie als das verstehen, als was wir sie sehen? Was, glauben Sie, wird er in Bildern mit monochromen Flächen finden, große Langeweile oder die erlesenste Exquisitheit des Geschmackes?
Diese wird er wohl übersehen, denn vor allem wird er entdecken: Alles ist Kunst, Kunst des Kochens, Kunst des Bogenschießens, Kunst des Liebens oder meinetwegen des Whiskeytrinkens. Der Graphikdesigner legt sich den Titel Art Director" zu, wie auch Radios, Computer, Möbel etc. ihre Besonderheit mit dem Zusatz Art-..." zu unterstreichen pflegen. Passend wird er die T-Shirts, Jacken, Pullover ausgraben, die den Menschen zum Werbeträger dieser Kunst machen.
Frage: Was Sie hier ansprechen, sind lediglich Marketingstrategien, die wie Efeu die eigentliche Kunst umkrusten. Soll das Kunst sein?
Ihre Marketingstrategien" charakterisieren die Widerspiegelung von Kunst in der Gesellschaft recht eindrucksvoll. Darauf kommt es an. Und zwar mit Bildern, oder präziser ausgedrückt mit den Fetischen der sozialen Zugehörigkeit. In Anklang an Exklusivität, Raffiniertheit, überlegener handwerklicher Fertigkeit und natürlich hoher Kennerschaft, alles Dinge, die der eigentlichen Kunst" angehängt werden, wird dem Publikum das Gefühl vermittelt, auch endlich mal dabei sein zu dürfen, nicht im demokratischen Einerlei zu verschwinden. Es geht nicht um diese eigentliche Kunst". Entscheidend ist eher, daß durch ihre Theoretiker die Grundlagen ästhetischen Denkens entwickelt wurden. Mit ihren idealistischen und romantischen Philosophen wurden schon vor zwei Jahrhunderten die Begriffe, Schönheit, Erkenntnis, Genie und Kreativität, Authentizität, Einmaligkeit, Erhabenheit etc. geprägt. Heutzutage Allgemeinplätze, spezifiziert, zusammengefaßt und griffig gemacht mit der Vorsilbe Art...".
Frage: Ja, aber ist es denn nicht so, daß, wenn es denn dann um eigentliche Kunst" geht, diese philosophischen Erkenntnisse - Sie sagen dazu Allgemeinplätze einfach vom Tisch gefegt werden?
Naja, wie gesagt, heute wandelt sich das Verhältnis zwischen Rezipienten und Produzenten. Nicht zuletzt aufgrund der neuen Medien, ihrer Verfügbarkeit, leichten Handhabung und der Massenwirksamkeit gilt immer weniger die Einzigartigkeit des Schaffenden. Die Kunst geht immer mehr auf jeden einzelnen über. Und wie gesagt, im Wesentlichen es kommt auf die Theorie an. Sie schafft die Bilder.
Frage: Inwiefern?
Das ist ja das Erstaunliche: Der geringste Prozentsatz der Bevölkerung hat sich Schlegel, Kant, Schiller je auch nur genähert, und trotzdem die Begriffe von Erhabenheit, Schönheit, Genie etc. sind in welcher Form auch immer für jeden Menschen klar umrissene Eigenschaften, zumeist des Besonderen, Hervorgehobenen. Diese Werke sind in das Unterbewußtsein der Gesellschaft übergegangen. Und das muß man mal aufzeigen, daß diese Alten Herren unsere Bilder des zu Erstrebenden geschaffen haben. Wandern wir verträumt durch mittelalterliche Gassen, so wird uns unbewußt Ruskin verfolgen mit seinem Damals war noch alles in Ordnung". Ein klassischer Topos!
Einwurf: Welch schlecht gewähltes Beispiel! An jeder Straßenecke finden Sie doch Menschengrüppchen, die sich darüber beschweren, daß früher einmal alles besser gewesen sei. Man muß doch nicht kilogrammweise Theorie heranschleppen, um Naheliegendstes, Menschlichstes zu erklären, wie weltfremd!
Interessant, Sie schließen wohl noch von dem Leben auf die Kunst. Wahrscheinlich glauben Sie auch noch an die Authentizität". Nach dem tausendsten expressiven Bild sind Sie also noch immer der Meinung, der Künstler sei davon schwer betroffen? Kunst ist künstlich! Und hier liegt das Eigenartige, so scheint es zumindest, der Mensch versucht sich liebend gerne in diese Künstlichkeit zu stehlen. Wohl kaum ist der Grund in schwächlicher seelischer Verfassung zu suchen, wohl eher in seiner eigenen Selbstdefinition, an seinen Modi die Welt für sich zu formen. Wenn man jedoch in der Künstlichkeit steckt, die ja heutztutage immer mehr zunimmt, hat man es mit Ästhetik und somit mit Theorie zu tun, mit der Theorie der Bilder.
Fragen: Eine Frage nach der Henne und dem Ei, denn so groß die Philosophen auch sein mögen, diese Begriffe sind doch nicht auf ihrem Mist gewachsen. Denn was ist nun mit dem vielbesungenen Sonnenuntergang und allgemein den Naturerlebnissen? Und überhaupt ist denn nur ein Künstler genial? Folgert daraus eigentlich die Forderung, Kunst bleibe bei deiner Erhabenheit?
Darauf kann man nur lapidar antworten: Erst der Versuch, Natur oder meinetwegen Schraubenzieher in Worte, das heißt in geistige Bilder, zu übertragen, macht die Objekte ästhetisch erhaben oder langweilig. Sie sind der realen Welt entzogen und in eine ästhetische überführt. Aus diesem Grund sind auch Gebrauchsanweisungen so spannend. Im Gegensatz dazu ist das Kunstwerk von vorne herein als ein ästhetisches definiert. Da heutzutage alles ästhetisch ist, wie zuvor erklärt, ist ein Gemälde auch nicht erhaben im klassischen Sinne. Worüber denn in der Masse der Ästhetik?
Frage: Theorie kann doch nur Bekanntes, in der Realität Vorgefundenes katalogisieren. Bestückt sie insofern nicht das Leben mit Kategorien, mit eindimensionalen Vorstellungen?
Sie spielen darauf an, daß das Leben eindimensional würde. Das hängt natürlich davon ab, wie kreativ die Philosophen sind. Die ganze Geschichte mit der Ästhetik ist prinzipiell etwas haarig, darüber wird meist großzügig hinweggesehen. Verläßt man sich auf die Formel, alles ist Kunst", dann bewegt man sich in einem virtuellen Raum, einer Art Dallas"-Fernsehserie. Sicher das Leben birgt Überraschungen, die niemanden einfallen würden. Die Virtualität verheißt jedoch Geborgenheit.
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Die Bilder und das Möbelhaus
Bruno Kuhlmann, 1998
Malerei im Ausstellungsraum eines Möbelhauses hat verloren. Unweigerlich wird ihr Verrat vorgeworfen. In ihrer Funktion als Stellvertreterin, sozusagen als "model" , als Platzhalterin, darf sie sich selbst nicht mehr ernstnehmen. Sie muß eigentlich nur gut aussehen, einem Image entsprechen.
Was geschieht nun, wenn Möbel, natürlich zu verkaufende, in einen Kunstraum gelockt werden, von der Malerei zum Show Down herausgefordert? Ein nackt zitternder Gegner steht deplaziert herum, weiß gar nicht, was er hier soll. Ein klassischer Vertreter des marktorientierten Schöpfungsprozesses spielt die Rolle des Duchampschen Flaschentrockners und redet dann noch von den verschiedenen Funktionen der Präsentationsräume. Redet sich heraus, schmeichelt viel und spricht gerne und besonders vom Verkauf. Daß auch in Galerien verkauft werden würde und daß eine Musterschau doch alles geben würde, alles nett ästhetisch zu präsentieren und daß jeder ein Recht habe, Möbel im richtigen Ambiente sehen zu dürfen. Dann spricht er von Simulation und davon, daß man doch eh nur zeigen würde, wie es daheim bei den Leuten aussehe. Also sei gar nicht seine nette Mittelmäßigkeit schuld, das hätte schon der Käufer zu verantworten.
Der Käufer, der Verursacher? Er, der Mastermind? Er, das Massenwesen, so wankelmütig, so inhomogen, so zerstritten mit sich selbst, ist der Schöpfer der Malerei? Nicht nur seine Nachfrage würde die Kunst determinieren, nein, erst in seinem Kopf entsteht die Kunst.
Was er zur Kunst erkoren hat, das ist die Kunst, ob es nun Gartenzwerge, Kronkorken oder Picassos sind. Es könnte auch eine weiße Wand sein, die für den Betrachter spannender ist als jeder Ryman. Der Künstler ist der Dienstleistende gegenüber dem Rezipierenden. Ein Gemälde, einmal fertiggestellt, wird zum Subjekt des Betrachters. So wie dieser es entsprechend seiner Einrichtung, seiner Vorstellung, sei es schwerer Italien-Barock, modernes Design oder museale Inszenierung, einpaßt, unter anderem daraus entsteht die eigentliche Form. Will heißen, seine subjektive Sicht, sein Umgang, macht ihn zu dem Künstler und seine Wohnung zur eigentlichen künstlerischen Installation.
Schlußendlich verfolgt dann derjenige den geradlinigsten Kurs, der in der Malschule "Aquarellieren leichtgemacht" eigene Werke schafft und diese stolz in die Sitzecke hängt. Das Zusammenfallen von Herstellendem und Verbrauchendem ist somit eigentlich schon in jedem Volkshochschulkurs erfolgreich realisiert. Endlich, der autarke Künstler!
Möbel in Schauräumen befinden sich in einer widersprüchlichen Situation. Um das Bedürfnis nach subjektiver Appropriation zu wecken, werden sie exponiert. Die Fiktion ihrer Handhabung wird suggeriert, doch ihre körperliche Präsenz ähnelt dem Garten der verbotenen Früchte. Zu leicht droht die Forderung nach Regreß bei Benutzung. Also schleicht man da mit gewissem Respekt um die Objekte herum und dieses Schicksal teilen sie mit Kunstwerken. Somit wäre doch das Möbelhaus auch nahe verwandt mit dem Kunstmuseum und der Galerie. Den Aspekt der Begierde, den rein immateriellen Genuß, sozusagen eine geistige Möblierung, die Distanz fordernde Präsentation und die Vielfalt muß man als ähnliche Eigenschaften anerkennen. Man läuft in beiden Fällen durch einen irrealen Film, in dem es vor Angeboten nur so wimmelt, die per se nicht zu einer greifbaren Form gerinnen wollen. Seltsam entrückt wirken die Gegenstände in den neutralen, beziehungsweise nur zur Präsentation gestalteten Räumen. Nur zu oft kulminiert dann diese Inszenierung in einem eigenartigen Gesamtkunstwerk "Wohnung", wenn diese Präsentationsformen als Musterbuch durch den Kunden mit in seine Privatsphäre übernommen werden. Ein Zirkelschluß folgt, in dem jeder vom anderen abschaut, die Unterschiede nivellieren sich. Und das Wohnen im Möbelhaus findet nicht mehr nur im Film statt. Genauso gibt es ja auch endlich Partys in Museen.
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Kunst versus Sports
Bruno Kuhlmann, 1996
1. Der Sport ist Kunst von heute.
2. Es gilt nicht mehr Jeder Mensch ein Künstler",
sondern Jeder Mensch ein Sportler".
3. Kunst - das virtuelle Spiel von morgen?
Die erste These: Der Sport ist Kunst von heute."
Keine Frage, Sport, insbesondere Basketball, ist ein hoch virulenter, kultureller Faktor. Basketball versinnbildlicht schlechterdings The American Style". Es wird Großstadtluft geatmet. Da ist Teamwork gefragt, Es hält fit und beweglich für den Alltag". Ein schönes Erfolgserlebnis, wenn man mal so einen Ball reinbekommt, fast wie Schrempf oder Jordan. Und überhaupt die Klamotten, schön bunt, zu schön, um sie nach dem Training wieder auszuziehen, besonders wenn die SEATTLE SUPERSONICS" gegen die CHICAGO BULLS" antreten, natürlich live im Sportfernsehen.
Und hier beginnt sich die Grenze zu verwischen. Sport ist eine künstlerische Performance; jeder ist eingeladen, daran teilzunehmen, in Rollenspiele einzutauchen, mitzumachen. Die sportliche Identifikation funktioniert dabei geradlinig, übersichtlich. Als Performer signiert weniger ein künstlerisches Einzelgenie, sondern die Marktwirtschaft selbst.
Entwicklung von Vorstellungen und Visionen, in gewisser Weise soziale Einbindungen, Spiegel der Zeit, Intellektualität, zwischen diesen Eckwerten definiert sich herkömmlicherweise Kunst - und rauscht geradewegs am Interesse der Gesellschaft, auch an der Neugier vorbei in die abgeschiedene Vergeistigung.
Die zweite These: Es gilt nicht mehr Jeder Mensch ein Künstler", sondern Jeder Mensch ein Sportler."
Wie gestalten sich diese beiden Entertainmentformen? Der Sport, ähnlich einem Schauspiel, konzentriert seine Gestaltung auf die Aktionen der Protagonisten, festgefügt in gleichbleibende, durchschaubare Rituale. Zeit, in jeder Form von Schnelligkeit, zeichnet sich als Grundbedingung aus, damit verbunden der Wettkampf, schneller, höher, geschickter. Eine zunächst einmal körperliche Konkurrenz, für den Rezipienten ganz unmittelbar zu erfassen. Und darum geht es in diesem Schauspiel, auch in seiner Gesamtheit. Dieses Dabeisein, Mitfiebern, das Im-Moment-Sein", dieser Kick aus dem Alltag heraus, verbindet sich mit der bedingungslosen Hingabe des Individuums zu Gunsten des Fußball-Clubs, des Basketball- oder Baseball-Clubs in den USA. Das Hochreißen der Arme, dieses Ornament der Masse"(1). Zeitgleichheit von Event, Entscheidung und Zuschauen ist der ausschlaggebende Antrieb. Wer interessiert sich schon für das Spiel des vergangenen Tages, auch wenn es das des eigenen Clubs ist und obwohl es vielleicht dann erst zu einem ästhetischen Ereignis werden könnte.
Über das Massen-Ereignis stülpen sich die Medien und mit ihnen die hochgradigen Vermarktungsmechanismen. Sie entscheiden mit an vorderster Front über die Popularität einer Sportart. Zu ihren Gunsten werden Regeln geändert, die Veranstaltungszeiten verschoben ..., bessere Häppchen für den Zuschauer, als allumfassendes Medien- und Werbeereignis. Die Heroen im Dienste von Müller-Milch, Nike und Konsorten sind dabei lediglich Fiktion. Sie dienen als ideeller Warenkorb, aus dem sich Images erschaffen lassen. Detlef Schrempf, Lothar Matthäus, Franzi v. Almsick oder Steffi Graf, kein großer Unterschied zu verschiedenen Schokoriegeln. Primär geht es nicht um den Sportler, nix weiter als eine Rolle, ein Hamlet, eine Maria Stuart. Der Rezipient ist der eigentliche Schauspieler, aber auch der Autor. Er zappt sich durch den Supermarkt der medialen Welten, sucht sich seine Individualität zusammen, nicht zuletzt in Form des mundgerechten Events. Stückwerk, das kaum der Beuyschen Forderung nach Jeder Mensch ein Künstler" entsprechen kann, denn eine Auswahl des immer Gleichen, jedem zugänglich, nivelliert nur die Eigenarten des Einzelnen. Also kein großer Unterschied zur Fankurve der Fußballstadien, der tausendfachen, immer gleichen Schals, Mützen und Sporttrikots.
Dieses Club-Szenario verknüpft sich für den Europäer fast schon zu einfach mit Fußball. Den höheren Grad der Sublimierung ins Transzendentale bietet hier schon alles US-amerikanische, die Fitneßwelle, Baseball, Football, Streetball, Basketball. Das Kunstwerk, das Sinnbild des immer jungen, attraktiven, weil sportlichen, erfolgreichen, weil sportlichen Menschen erstrahlt am Horizont. Und wie gesagt, diese Rolle ist eine zu kaufende. Man ist nicht mehr nur der Identifizierende im eigenen Traum, sondern tritt selbst als der real handelnde Protagonist in seinem eigenen" Image auf.
Dieses Imagetreiben ist so unähnlich dem Konzept von Kunst nicht. Das Bild der Maria Immaculata" von Tiepolo als Urahnin der Rexona-Werbung von Steffi Graf, warum nicht? Es gilt zu differenzieren. Während die Werbung sich klar nach außen wendet, an jeden, den sie erreichen kann, bleibt die Funktionsweise von Kunst eigenartig gespalten. Dabei war und ist sie - besonders die Sparte Malerei - viel zu programmatisch, zu statisch, um in der Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz den Vergleich mit Marktwirtschaft und ihrem Werben mit tausenderlei Identitäten zu wagen. Das bekannte Problem, ein Gemälde kann sich nicht mit Lautstärke Respekt verschaffen wie ein Schauspieler. Es ist, noch so groß und poppig, verurteilt das Objekt an der Wand zu sein, das nur dann anfängt zu existieren, wenn das Paar Augen sich darauf richten. Was haben dann Michael Jordan mit Andy Warhols Franz Beckenbauer" miteinander zu tun? Für beide gilt, daß sie im Grunde die gleiche Träume, Schauspiele anbieten. Auf verschiedenen Intensitätsgraden lassen sie Filme, Shows ablaufen. Dabei muß als Vorwand noch immer der Maßstab der Meisterschaft herhalten. Der beste" Sportler, das gut" gemalte Bild. Sind die Qualitätsmerkmale bei ersterem durch Sieg oder Niederlage klar umrissen, um so diffuser und auf individuelle Urteilskraft des Rezipienten angewiesen, ist ein Kunstwerk. Wenn Jedermann" sich für die Karten des nächsten Bayern-Spieles anstellt, vielleicht auch noch das Muscle-Shirt von Nike für sein Sportcenter ersteht, weiß er, daß er für die Ware den klar umrissenen Traum gleich mitgeliefert bekommt. Die Boxershorts als Kunstwerk? Klar, aber ein Gemälde? Da muß schon großes Glück dazu gehören, wenn gerade dieses Stück Leinwand mit bißchen Farbe darauf zu den Rudimenten seiner visuellen Erfahrung paßt. Involviert gerade die Geschwindigkeit Zuschauer und Teilnehmer ins Ereignis, so kann die Subjekt-Objekt-Beziehung in der Rezeption des Gemäldes getrennter kaum sein. Und während sich von Mal zu Mal die Lebensdauer der Trendsportarten verringert, kaum hat sich bis heute ein Allgemeinbewußtsein entwickelt, das über den Expressionismus hinausreicht. Reduziert sich Malerei in den letzten Jahrzehnten immer weiter bis zur monochromen Fläche, oder kann nur noch in Zitatform Buntheit und Figuration akzeptieren - die Sportartikelindustrie feiert Feste ästhetischer Inszenierungen. Zu leicht schiebt man nun ein bildungspolitisches Manko vor, aber kann es nicht sein, daß Kunst einfach die falsche Form wählt, um in der Gesellschaft Position zu beziehen?
Ein Antagonismus, ein Wettstreit zwischen Geschwistern gleichen Ursprungs, den Sport kaum fürchten, Kunst jedoch suchen muß, um nicht in die mediatisierten Indifferenz abzutauchen.
Die dritte These: Kunst - das virtuelle Spiel von morgen?
Wie geht eine marktwirtschaftlich orientierte Gesellschaft mit ihrer Kunst um? Sie wird Teil der Warenwelt, und dazu braucht es die Verpackung, den Aufhänger, erschaffen anhand von Ergebnissen der letzten Marktforschung. Und die Folge, das erkannte schon Jean Dubuffet in den fünfziger Jahren, Kunst erstarrt in seiner Geschichtlichkeit (2), schlimmer noch im Event: Vermeer" in Den Haag, wie Mickey Mouse in Disneyworld. Neben dem bemerkenswert sportlichen Aspekt der Besuchermassen, ähnlich einem Volkslauf, zeigt sich hier, daß etwas als Kunst verkauft wird, das eigentlich nur peripher mit der heutigen Gesellschaft zu tun hat, weil es entstanden ist vor Jahrzehnten, gar Jahrhunderten in einem völlig andersartigen kulturellen Kontext. Ein Bild wird vorgeführt, wie es konservativer und realitätsfremder kaum sein kann, aber gut verschnürt als Konsumartikel. Hier gilt kein großer Unterschied mehr zwischen Michael Jordan" und Van Gogh", aber nachgerade diese Art von Geniekult nullt die als Grundvoraussetzung für die Kunstproduktion prädefinierte Autorenschaft.
Dabei soll doch heutzutage das Banner der freien Willensentscheidung vorangetragen werden. Und sie kulminiert eigenartigerweise in der Freiheit zur Gleichheit, obwohl doch die individuelle, originäre Selbstverwirklichung gefordert wird. Ein strikter Wille zur Nivellierung verifiziert sich in den Sportstadien der Welt, gesponsert vom wirtschaftlichen Kreislaufmittel der Werbung. Diente dem Mittelalter das Tafelbild, den Glauben darzustellen, das Leben im Jenseits zu visualisieren, somit letztendlich auch nur Glückseligkeit zu verheißen, so übernimmt diese Rolle heute das Fernsehen, Hand in Hand mit der Werbung. Kunst, der Funktion beraubt, kann als Gebrauchsartikel á la Van Gogh" oder "Monet" oder als intellektueller Individualismus überleben. Als letzteres entgeht sie kaum dem Risiko, dann doch noch in Form einer etwas bizarreren Anstecknadel daherzukommen. Nebenbei gesagt, die moderne Gesellschaft hat Kunst bisher immer mehr auf den Ausdruck des Einzelnen, des um Identität und Authentizität ringenden Zeitzeugen eingeengt. Ein Bild sollte im Prinzip Chronik werden und wurde damit aus der Teilhabe ausgeschlossen. Gründe hierfür dürften wohl auch in den geschichtlichen Wurzeln der Kunst zu suchen sein, unter anderem stark verkettet als Repräsentationsmittel mit der Aristokratie, sowie mit der romantisch idealistischen Vereinzelung eines C.D. Friedrich.
Kunst ist jedoch eine visuelle Inszenierung, ein visuelles Ereignis, das nonverbal Dinge, Situationen offenlegt, vorführt. Ihre besondere Qualität dabei, die materielle Stofflichkeit, ihre Existenz als Objekt, damit verbunden auch ihre ab und zu nervtötende Langsamkeit in der Wirkung. Und damit muß es ihr gelingen, sich einzumischen. Kein moralischer Zeigefinger postuliert sich, eher soll an die mexikanischen Murales" eines Rivera oder Siqueiros verwiesen werden und an ihre soziale Bedeutung. Kunst muß in der Lage sein, Fragen zu stellen, sowie Antworten zu geben, die eigentlich jeden betreffen. Beraterfunktion? Ein weiterer Seelsorger? Wohl kaum. Aber ersteres prinzipiell, warum nicht? Kunst muß in der Lage sein, Statements abzugeben, die dazu verleiten, das Monet-Poster von der Wand zu nehmen und nach einem Original zu greifen. Es stellt sich dabei auch die Frage, warum Kunst primär durch den Namen des Schöpfers leben, und warum seine Haltbarkeit Jahrtausende überstehen muß, dieses ist ein aristokratisches Prinzip. Primär ist sie erst einmal Medium und dient damit der Kommunikation, ein Dienstleistungsgewerbe, das die Bedürfnisse der Kundschaft befriedigen muß und auch diese sind Generations- und Interessenswechseln unterworfen. Gewissermaßen ist eine Kunst gefordert, die den ungerührten Blick von außen, der sie zu einer repräsentativen Tapete verstümmeln läßt, hingibt zu Gunsten der Entwicklung von Form, die den Bildern der heutigen Gesellschaft Ausdruck verleiht. Und das ist letztendlich ein virtuelles Spiel.
(1) vgl. Siegfried Kracauer, "Ornament der Masse" in Das Ornament der Masse: Essays. Frankfurt, 1963
(2) vgl. Jean Dubuffet, Malerei in der Falle, Schriften Band I, Hrsg. Andreas Franzke, Bern 1991
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